Montag, 18. Juli 2005
Die Nacht der Erkenntnisse
Gegessen hab ich nichts. Der Appetit ist mir gründlich vergangen.
H. versteht meinen Standpunkt nicht, deswegen kann er meine Bitte nicht respektieren. Fein, daß ich mir seit 6 Jahren den Mund fußlig rede. Wenn ich nicht will, daß irgendwer aus dem Dunstkreis des Exfreudes was über mich erfährt, so ist das mein gutes Recht. Das kann man verstehen oder nicht, als Paranoia abtun, aber dennoch respektieren.

Das ist wohl zuviel verlangt. "Weil es auch nie Konsequenzen bei Dir gibt", sagt der Sonnenschein, den ich heulend am Weg quer durch die Stadt anrufe. Eigentlich nur um eine Stimme zu hören, die lieb zu mir ist. Bei ihm war ich auch nicht konsequent, aber das ist ein andres Thema.

Zunächst sitzen wir auf der Längsseite des Tisches. Alle drei zusammen, es ist viel los und wir haben uns zu wem dazugesetzt. Godot in der Mitte. Als das Gestreite losgeht überlege ich einen Augenblick lang einfach aufzustehen und zu gehen. Ich hätte besser daran getan. Allerdings wollte ich nicht blind vor Tränen durch die Menge stürzen. Ich brauche kein Auditorium, ich will das nicht. Also bleib ich sitzen, drehe mich weg.

Die Versuchung des Unterarms ist sehr groß, süß die Verlockung für den Bruchteil einer Sekunde einen anderen Schmerz zu spüren. Zum Glück hab ich etwas Langärmliges an. Damit sauge ich die Tränen noch direkt aus den Augen auf.

H. holt sich etwas zu trinken und setzt sich an die inzwischen frei gewordene gegenüberliegende Seite. Währenddessen sagt Godot, daß H. keinen anderen Standpunkt als seinen eigene akzeptieren könne. Ich schau weiterhin in die andere Richtung, ich kann gar nicht zu ihm schauen, zu keinem von beiden. Der Körper wehrt sich und ich respektiere das. Godot übt sich in der Vogelstraußpolitik. Er würde mich verstehen, aber H. erklären? Nein, er hält sich da raus.

Manchmal ist es hilfreich wenn ein Dritter in anderen Worten eine Sache erklärt. Nein, Godot bleibt dabei, Kopf in den Sand, ja nicht anstreifen. Nachdem er sich ein frisches Bier geholt hat setzt er sich nicht mehr neben mich. Die Situation wäre gold wert für jeden Psychologen. Godot mischt sich nach eigenen Worten nicht ein, sitzt jedoch neben H. Die Distanz zwischen Godot und mir ist fast so groß wie die zwischen H. und mir.
Heller scheinen wird das Licht der Erkenntnis auch nimmer. Ich weiß, daß sich Godot immer mit dem Wind dreht. Das ist viel einfacher so, da muß man keine Stellung beziehen.

Ich nehme H.s Entschuldigung nicht an. Das macht keinen Sinn, er versteht ja doch nicht was ich meine und will nur wieder Ruhe haben. Mit der Rose lasse ich mich auch nicht bestechen, dennoch hab ich sie letztendlich mitgenommen, warum? Keine Ahnung, vllt damit ich die Hände voll hab und nicht doch der Verlockung des Armes nachgebe. Der Schmerz ruft süß.

Ich sage Godot, daß er H. heimfahren kann, ich komme schon nach Hause. Ob ich sicher wäre – na was sollte ich denn sonst tun? Als sie weg sind rühr ich endlich das Getränk an. Ich lasse mir Zeit, warte bis ich mich sicher genug fühle aufstehen und mir den Weg durch die Massen bahnen zu können. Ich wähle nur wenig beleuchtete Gassen um durch die Stadt zu kommen. Ich will Ruhe haben, Ruhe gewinnen, die Stadt gibt sie mir. Ich rufe den Sonnenschein an. Rotz und Wasser fließen am Handy vorbei, der Sonnenschein redet beruhigend auf mich ein, sagt mir Sachen, die ich eh weiß.

Ich hab H. die letzten 2 Wochen zu viel gesehen. Öfters als im ganzen vergangenem Jahr. Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Eigentlich ist heute nichts passiert, was ich nicht schon vor dem Abend wußte. Die Weigerung mich heimbringen zu lassen war nur ein weiteres Ausweichmanöver einer Auseinandersetzung. Irgendwann werde ich Godot mit so manchem konfrontieren. Schön wird es nicht, helfen wird es nicht. Besser fühlen werde ich mich auch nur für kurze Zeit. Vielleicht gehöre ich zu einer aussterbenden Spezies, Respekt und Loyalität sind mir wichtig. Vielen anderen nicht. Darüber nachzudenken bringt nur weiteren Kummer und es ist schon spät.

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