Donnerstag, 30. Oktober 2008
Hundertachziggraddrehung
Über zehn Jahre habe ich den Kontakt verweigert. Zwei Drittel davon war das mit dem Mamazwerg ein Riesentheater. Pünktlich zur Weihnachtszeit immer dasselbe Spiel. Ich soll zu dem Treffen mitkommen. Nein, danke, keine Lust. Aber warum, wieso, er wird net ewig leben. Mir egal...
Das ging dann zwei, drei, vier Wochen. Der Weihnachtsfrieden hing immer schief. Regelmäßig.

Dann wurde ich jahrelang zwangsbeschenkt - darauf folgte das obligatorische "Du mußt Dich bedanken" - wofür? Ich hab das net gewollt. Und die nächste Szene.

Das ging ziemlich lange. Bis dann zum 80er. Daaa befand ich dann, ich tät gern zur Feier kommen. Sehr nobel, sehr elegant, in dem Haus hinter der Oper.
Nein, ich war nicht geladen. Nur der Mamazwerg. Es wären zu viele Leute da gewesen, sagte der Mamazwerg. Klar, da wärs dann auf mich auch noch angekommen. Die Sache war tortenlos gegessen.

Eine Beerdigung im Jänner vor weniger Jahren, da waren er und ich dann am selben Ort. Keine Möglichkeit zu entweichen. Habe gute Miene zum bösen Spiel gemacht, artig gegrüßt und mich dann verzogen. Dem Mamazwerg ins Ohr gezischt, daß meine Schuld getilgt ist. Daß es reicht. Der Mamazwerg mußte es weiter treiben. Nachdem der Sarg in den Keller gefahren war, hab ich mich noch einmal sehr freundlich verhalten.


Diesen Sommer gabs die jährliche Essenseinladung in den Kurort. Ich wäre wirklich gern mitbekommen - ich werde wirklich alt und nachsichtig - aber da war ja diese "freiwillige" Aktion. Wär ich nur mitrausgefahren...

Vor paar Wochen dann kam er ins Spital.
Letzte Woche, als der Mamazwerg mit der Tante telefonierte, hab ich mehrfach gesagt, daß ich mitbesuchen komme.
Ich dachte, Du meinst das Weihnachtstreffen sagt dann der Mamazwerg. HALLO??! Davon war erst eine Stunde später zum ersten Mal die Rede. Ja, ich bin weise und hellsichtig, aber ALLES rieche ich nicht gegen den Wind...

Gestern ein genervter Mamazwerg am Telefon, dem ich auch gesagt hab, daß ich den ganzen Tag Zeit hab. Heute erzählt mir der Mamazwerg vom nachmittäglichen Spitalsbesuch. Na das war alles so kurzfristig.. blaaa...

Ach was... zuerst gute acht Jahre regelmäßig Vorwürfe, weil ich jeglichen Kontakt vermeide. Schuldzuweisungen, schlechtes Gewissen, sonst was - und jetzt??? werde ich ausgeschlossen.

Gut, er wird in knapp 7 Wochen neunzig. Der Mamazwerg will, daß er "ein gutes Wort bei der Oma für uns einlegt", daß er ihr erzählt, was aus uns geworden ist, ect.
Ich, wo ich doch für den Mamazwerg der Familienversager bin, eine Enttäuschung, versteckt werden muß vor der guten Gesellschaft...
Ich schüttel den Kopf. Ich brauchen IHN nicht, damit meine Großmutter weiß, was aus mir geworden ist. Entweder sie weiß das selber oder gar nicht. Fertig. Und wie kann er beurteilen, ob ich anständig geworden bin oder nicht. Und was soll der ganze Mist überhaupt??



Unterm Strich fühl ich mich aber ok. Ich hab meinen Frieden gemacht. Wenn der Mamazwerg den Rest verhindert, ist das für mich auch in Ordnung.
Bleibt nur die Frage ob ich, wenn es dann soweit ist, auf die Beerdigung geh oder nicht.

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Seltsame Geschichte. Schonmal überlegt, daß sie Ihn möglicherweise genauso bearbeitet, mal mit Dir zu reden?

...nur mal so als klitzekleine, absolut unqualifizierter, Spekulatius in den Raum geworfen.

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Definitiv nicht*. Sie sieht die ganze Geschichte (mein Grund der Kontaktverweigerung) nicht so [eng]. Und da sie immer wieder Entschuldigungen für mich erfindet (oder das früher getan hat), wird es ihm und der restlichen Familie noch nicht einmal aufgefallen sein.

Ich sag dann einfach nur zu ihr: schau, daß ist Deine Familie und daß Du Kontakt hast, ist für mich ok - aber MICH kannst Du nicht dazu zwingen, ich hab mit ihm abgeschlossen.

Mein Familie ist das schon ganz lange nicht mehr. Seit dem Tod meiner Großmutter. Oder dem halben Jahr davor. Oder dem halben Jahr danach.
Nach dem (halben) Jahr danach hab ich für mich den Strich gezogen. Um zur Ruhe zu kommen.

Und ja, es gibt für mich Dinge und Verhaltensweisen, die sind nicht einfach so entschuldbar. Dafür ist ZU viel passiert.
Aber wenn dann ganz ganz viele Tränen und Wasser die Donau runter sind, und ich ein wenig sentimental und wieder älter werde, werde ich auch milder und nach über zehn Jahren, da kann es dann mal sein, daß ich Widerstand aufgebe. Zumindest einen Teil. Aber (ganz) vergessen ist nicht. Das kann ich einfach nicht. Dazu sitzt die Wunde zu tief und der Schorf nicht fest genug.


* Er hätte in den letzten 14 Jahren schreiben, anrufen sonst was machen können. Hat er nicht.
Ich sage: wer was von mir will, der kommuniziert direkt.

Das gilt übrigens auch für meinen Onkel. Jahrelang** wurde über den Mamazwerg ausgerichtet. Selbst das Tiersitting wurde über sie wieder abgesagt. Hallo??? Gehts denn noch... Hab dann mal vor Jahren gesagt, daß ich auf diese Form der Kommunikation keinen Wert leg, und wenn er was zu sagen hat, dann direkt. Seitdem bekomm ich weder Geburtstags- noch Weihnachtswünsche.

**Als ich nimmer beim Mamazwerg wohnhaft war, und ja, allen ist meine Adresse und Telefonnummer bekannt.

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Eine Beerdigung ist ein gesellschaftliches Ritual. Wie man sich tatsächlich von einem Toten verabschiedet, das muss jeder mit sich selbst, innenrum, ausmachen. Für Tante Mimi und Onkel Bubi schwarzherausgeputzt vor dem Erdloch zu erscheinen und brav ein Kerzerl anzuzünden befriedigt ausschließlich Ego und Moralvorstellung der Hinterbliebenen. It's your choice.

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Noch ist es ja nicht so weit, aber bei Leute in einem gewissen Alter soll man sich auch keine Illusionen machen. Natürlich wär es mir lieb, er lebt noch 10 Jahre oder mehr und ich muß mich nicht damit auseinandersetzen.

Ich weiß nur nicht, ob ich es mit mir vereinbaren kann, über ein Jahrzehnt einen großen Bogen gemacht zu haben, aber dann am Grab steh und vllt noch irgendwas heuchel (darin bin ich nicht gut, außer es muß wirklich sein).

Allerdings, wenn ich nicht hingeh, dann flippt wohlmöglich der Mamazzwerg aus.
Andererseits, da ich ja schon mehr als einen Schritt in die Richtung gemacht hab, vllt halte ich das Ganze dann doch aus.

Wir werden sehen, danke für die Kommentare, es hilft ein wenig Licht ins Ungewisse zu bringen.

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Es war paar Wochen später dann doch soweit.
An Weihnachten und ganz schnell und heimlich verscharrt.

Das hat er nicht verdient, sagte gestern der Mamazwerg wieder. Kein Mensch hat das verdient, denke ich und zucke mit den Schulter.
Aber auch kein Mensch hat verdient, wie er sich damals uns gegenüber verhalten hat.

Trotzdem denk ich an ihn. An jedem Geburtstag.
Das ist Familie, der kommt man auch im Tode nicht aus.

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Ende der Schonfrist
Komm grad mit bisserl Wut im Bauch nach Hause, blinkt die Maschine - der Mamazwerg, nach einem Telefonat mit dem Bruder, weil der Großonkel die Adresse von seinem exSchwager (resp des Mamazwergs Vater) wissen möchte.

"Sag ihm gleich, daß wir eh schon seit über zehn Jahren wissen, daß er wieder im Land lebt und sich das Theater sparen kann", habe ich am Mittwoch zum Mamazwerg gesagt. Mein Onkel verheimlich uns das nämlich. Allerdings hat ja die Trulla meines Großvaters nichts andres zu tun gehabt, also nicht sehr lange nach der Rückkehr ins Heimatland, als meinem Großonkel und seiner Frau auf der Straße aufzulauern und sich anzubiedern.
Abgesehen davon konnte die Frau meines Onkels einmal nicht den Mund halten, als sie dachte der Alte läge im Sterben, und hat erzählt, daß er ja schon seit 19XX wieder da ist.
Wir wissen das also von zwei Seiten.

Nein, mein Onkel will die Adresse nicht rausrücken. Er wird den Vater fragen, ob es genehm ist und es seinem Onkel dann direkt sagen.


Zum Glück ist es Mitternacht. Ich wäre derart in der Verfassung seine Nummer beim Mamazwerg zu erfragen und ihn anzurufen. Das schau ich mir an, daß er mir das Recht auf meinen Großvater noch einmal verweigert. Da konnte er machen, solange ich noch keine zweistelligen Geburtstage hatte. Aber jetzt weiß ich mich zu wehren.

Und ich hab auch die Nerven ihm zu sagen, daß sich wegen dieses Schweins meine Großmutter die Pulsadern aufgeschlitzt hat. Und über die Sachen, die damals vor Gericht gelaufen sind. Es ist seine Schuld, daß wir dort stehen, und vor allem mein Onkel, wo wir stehen.
ICH habe KEINEN Grund ihn vor der Wahrheit zu schützen.

Sein ach so toller Vater. Der ihn im Gärtnerhäuschen wohnen ließ, wenn er zu Besuch kam. Weil die Trulla sie nicht im Haus haben wollte. Augen auf.
Ich hab meinen Erzeuger auch jahrelang auf ein Podest gestellt, aber ich war jung und hab es geschafft die Augen aufzumachen und die Wahrheit zu sehen. Es wird Zeit!!

Und wenn ichs mir lang überleg - wenn ich schon meinen Großonkel besuchen kann, dann kann ich auf meinem Großvater ins Gesicht schauen. Spucken werd ich nicht. Aber vllt einiges sagen, was zu sagen ist.


Die Leute fragen mich immer, warum ich nur den Mamazwerg als Familie angebe.
Weil ich mich nicht entscheiden kann, welche Seite ich mehr zum Kotzen find. Ganz einfach.
Und weil ich ruhiger schlafen kann, wenn ich mich von allen distanziere. Das ist nicht mehr dasselbe Blut. Das ist nur noch Wasser.

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